„… als gäbe es keinen Morgen“ (18.10.2018)

Erinnerungen an die erste Kerb in Dietzenbach / Einweihung der Christuskirche im Jahr 1754

„… als gäbe es keinen Morgen“

 
Das Bild aus dem Buch „Dietzenbacher Kirchenbau“, illustriert von Hans Schmandt, zeigt die Dietzenbacher Kerb am 27. Oktober 1754.

DIETZENBACH ■ Schlangen bildeten sich beim Friseur, Schneiderinnen hatten die Hände voll zu tun. Die Frauen und Mädchen waren eifrig dabei, die Stuben auf Hochglanz zu bringen, denn Besuch aus der Verwandtschaft hatte sich angemeldet. Bäckers- und Metzgerleute legten Zusatzschichten ein, um für das leibliche Wohl des Dorfes zu sorgen, das dann erwacht, wenn sich die Natur allmählich schlafen legt. Hedi Weilmünster bezeichnet in ihrem Buch „Anno dazumal“ die Kerb als „höchsten Feiertag im Ort“. Sogar ein Kerbochse wurde vor dem anschließenden Schlachten durch die Gassen getrieben. Es wurde getanzt, gesungen und gelacht, als gäbe es keinen Morgen – und das über mehrere Tage. Die Menschen hatten „anno dazumal“ nicht viel und waren froh, die Alltagssorgen und -leiden für eine Tage vergessen zu können. Der Zeitpunkt der Kerb lag günstig: Die landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft in Dietzenbach hatte zu diesem Zeitpunkt die Ernte eingeholt und sich für den anstehenden Winter gewappnet.

Der Grund zur Feier Ende Oktober rührt jedoch nicht vom Erntedankfest her. Die Kirchweih, wovon sich der mundartliche Begriff Kerb ableitet, ist der Anlass zum Fest. Am 27. Oktober 1754 ist die Christuskirche in der heutigen Darmstädter Straße geweiht worden.

Nachdem die Vorgängerin im Dreißigjährigen Krieg schwer beschädigt und ob der wachsenden Einwohnerzahl ohnehin zu klein geworden war, entschied man sich dazu, die Überreste abzutragen und ein neues Gotteshaus zu bauen. Einzig der Turm blieb bestehen, um neu in das entstehende Gebäude integriert zu werden. Im Dietzenbacher Kirchenbaubuch lässt sich Stein für Stein nachvollziehen, wie der Neubau vonstatten ging: Am 15. März 1753 hat man den Grundstein gelegt, „welcher rechter Hand von der vorderen Haupttür gekommen“. Die Mauersteine für das Kirchenschiff stammen teils aus dem alten Gemäuer, teils aus einem Offenthaler Steinbruch, wie es weiter in dem Buch heißt.

Die Offenthaler Steinbrecher hat man in „Wein und Weck“ sowie mit 50 Kreuzern bezahlt. Ziegelsteine, Kalk, Holz und Eisen sind weitere Stoffe, die teils in Pfundangaben aufgeführt sind. Rechnet man alle Ausgaben inklusive Verpflegung für die Mitarbeiter zusammen, so hat die Christuskirche 3712 Gulden und 44 Kreuzer gekostet, darunter 27 Gulden und 34 Kreuzer für das Kirchweihfest.

Am 27. Oktober 1754 konnte das neue Gotteshaus schließlich eingeweiht werden. Später entschied man sich dazu, den 28. Oktober zum sogenannten „Kerbleger“ zu bestimmen, weil dies gleichzeitig der Gedenktag für die Apostel Simon und Judas ist. Die Kerb wird demnach am Wochenende nach dem 28. Oktober gefeiert.

Für die diesjährige Kerb tritt ein besonderer Fall ein. Die Christus-Gemeinde schreibt: „Fällt dieser Tag auf einen Sonntag, wird die Kerb am Wochenende des 28. Oktober begangen.“ Die Kerb ist von Freitag, 26., bis Dienstag, 30. Oktober, rund um den Harmonieplatz in der Altstadt. ■ zls

Quelle: Offenbach Post (online) 18.10.2018