Kirchweihbrauchtum in der Dreieich im Spiegel von drei Jahrhunderten

Kirchweihbrauchtum in der Dreieich im Spiegel von drei Jahrhunderten

von Gerd J. Grein

Das Kirchweihbrauchtum des Odenwaldes ist in der älteren heimat- und volkskundlichen Literatur mehrfach behandelt worden[1]. Neuerdings hat Heinz Schmitt die dörfliche „Kerwe” aus einem Teilgebiet des Odenwaldes, der Gegend um Weinheim, in ihrer heutigen Form mit allen Brauchhandlungen geschildert[2]. In der Folge soll nun eine Abhandlung des Kirchweihbrauchtums aus der Dreieich, einer vielfach als brauchleer bezeichneten Landschaft südlich Frankfurts, im nördlichen Odenwaldvorland, gegeben werden.
Aufgrund zahlreicher archivalischer, literarischer und ikonographischer Zeugnisse sind wir in der Lage, Beharrung und Wandlung eines ehemals kirchlichen Festes aus der vorreformatorischen Zeit, mit all dem Gepränge an Brauchhandlungen, bis in unsere Tage aufzuzeigen. Allerdings werden wir uns nur mit einem überschaubaren Zeitraum vom 16. bis 19. Jahrhundert befassen.
Die Landschaft Dreieich wurde ab dem Jahre 1528 reformiert und in der Folge haben sich die lutherischen Pfarrer mehr oder minder eifrig gegen die wirklichen oder vermeintlichen Auswüchse des Festes gewandt. Sie haben mit ihren Eingaben an die vorgesetzten Kirchenbehörden und andere Stellen der Obrigkeit ungewollt wichtige und reizvolle Quellen für die Volks- und Kulturforschung geliefert. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzt dann eine systematische Darstellung der Brauchelemente durch die Autoren der Landes- und Ortsbeschreibungen ein[3]. Schließlich — und das ist die Besonderheit in unserem Untersuchungsgebiet – haben ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einige lokale Maler und Künstler, die zu den Großen ihrer Epoche zählten, die ländlichen Kirchweihfeiern zum Gegenstand ihrer Bildinhalte gewählt. Eine ungewöhnlich große Zahl von „Kirchweihbildern” ist in den öffentlichen Kunstsammlungen der Umgebung zu besichtigen und der Betrachter wird dies mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Vor diesem Hintergrund wollen wir gerade diese bildlichen Zeugnisse in den Vordergrund unserer Betrachtung rücken.

Kirchweih – Kirb – Kerb

Nach dem Grimmschen Wörterbuch und der großen Brockhaus-Enzyklopädie bedeutet „Kirchweih” ursprünglich die feierliche Übergabe gottesdienstlicher Räume. In der lateinischen Liturgie wurden solche Kirchweihen seit dem Mailänder Edikt von 313 durch die erstmalige Feier der Eucharistie durch den Bischof vorgenommen – zunächst jedoch ohne besondere Riten. Ab dem 9. Jahrhundert traten zu den einfachen Weihehandlungen vielschichtige Riten, die im 13. Jahrhundert ihre reichste Ausgestaltung erfuhren (Altarwaschung und Salbung, Beisetzung von Reliquien etc.), 1596 im Pontificale Romanum festgeschrieben und erst von Johannes XXXIII. wieder vereinfacht wurden.
Die evangelische Kirche kennt als Kirchweihe nur die feierliche Übernahme des gottesdienstlichen Raumes durch die Gemeinde, da die Reformatoren die katholischen Riten verwarfen und nach 1. Tim. 4,5 die Kirche als Aussonderungen des Gebäudes zum kirchlichen Gebrauch verstanden haben wollten.
Seit dem 9. Jahrhundert wurde der Jahrestag der Kirchweihe zum weltlichen Fest, welches Märkte, Schausteller und ein reiches Brauchtum mit sich brachte. Das Kirchweihfest wandelte sich: „Die Verweltlichung des Festes ist alt[4].
Das Kirchweihfest, welches im niederdeutschen und niederländischen Sprachbereich „Kirmes”, im fränkischen „Kirb”‚ „Kirwe”, im schweizerischen „Kilbe” und im bayerischen-österreichischen „Kirta” genannt wird, heißt in unserer Region in der älteren Mundartfassung des fränkischen Einflußbereiches bis Ende des 19. Jahrhunderts „Kirb” und danach „Kerb”.
Da die Kirchweihen zu den beliebtesten Volksfesten im mitteleuropäischen Raum avancierten, wurde bereits im 15. und 16. Jahrhundert in vielen deutschen Regionen das Fest von der Obrigkeit auf ein bis zwei Tage beschränkt und in den Herbst – nach eingebrachter Ernte – verlegt. Aus dem Kirchenfest wurde ein Erntefest. Um dem Müßiggang und der Verschwendung vorzubeugen, ging die Reglementierung noch weiter: „Kein Dienstbote sollte jährlich mehr als eine Kirmes außerhalb seines Wohnortes besuchen, kein Hausvater mehr als acht Kirchweihgäste aufnehmen und nie mehr als vier Gerichte täglich auftischen.”[5] So werden die meisten Kirchweihfeiern noch heute in der Dreieich in den Herbstmonaten (von Ende August bis Mitte November) begangen. Nur Dreieichenhain (= Dreieich-Dreieichenhain) macht hier eine Ausnahme. Die „Haaner Kerb” wird am Pfingstwochenende gefeiert und hat für die ganze Region die Bedeutung eines Frühlingsfestes erlangt, was sich gleichermaßen auf ihre Popularität auswirkte.

Das Ärgernis der Pfarrer
Die schriftliche Überlieferung der Kirchweih und ihrer Brauchhandlungen setzt für unser Untersuchungsgebiet erst nach der Reformation ein. Das früheste Zeugnis stammt aus dem Jahre 1562. Damals machte sich der Dreieichenhainer Pfarrer Valentin Breidenstein aus Kassel, der hier seit 1549 amtierte und 1566 an der Pest verstarb, zum Fürsprecher seiner Amtskollegen in der damals isenburgischen Dreieich („Die Pfarherren in der Dreyeich ubergeben ettlicher Unordtnung und ergernus halben, sich unter Ihren Pfarrkindern erhaltend, diese verfaste puncten Ao 62”).[6]

Nachdem er sich über die „Fassnacht” ausließ („Syntemall es ist ein solch heidenisch Werck, da die leut auch die gleich den teuffeln sich verstellen, und sonderlich das pawernvolck bratereien gehen, und von Hauss zu Hauss mit trummen und pfeifen im Dorff umblauffen, alss wen sie toll und unsinnig weren…”), kommt er auf die Kirchweih zu sprechen: „Ein solchen Ehrlichen Convent helt man auch auff den Kirchweigen, da das Volck zusamen kompt, alle Wirtsheusser voll sin dt, Jedermann schwelget und seuffet, biss endlich, wen sie voll und tholl sind, ein hawen und stechen darauss wirdt, das ein sprichwortt daraus worden ist, den pawren soll man ihre krichweig allein lassen das ist je ein lobliche frucht, die auss den Kirchweigungen herkompt.” Er versucht also die Diskrepanz zwischen den kirchlichen Anspruch der Feier und dem geübten Volksfest herauszustellen.
Er befindet sich in seiner Einschätzung des Volksfestes ganz in der lutherischen Tradition, denn Martin Luther selbst meinte: „Derohalben christliche Obrigkeit von Amts wegen die Kirchweihen, solche säuisch Gefräß und unordentlich Leben billig abschaffen und mit harter Strafe wehren soll, als ein solches Tun, das nichts Gutes jemals auskommen ist!”[7] Aber auch andernorts in der Dreieich wird von den Pfarrern kräftig gegen die Kerbfeiern geeifert.
Besonders der in den Jahren 1558 bis 1584 in Langen amtierende Pfarrer Eucharius Zinkeysen wetterte kräftig gegen die Kirchweihbräuche und anderen Tanzbelustigungen. Der reiche Schriftverkehr, den er an die Landesregierung, an den Grafen Wolfgang von Isenburg-Ronneburg-Kelsterbach, richtete, ist noch erhalten. 1568 beschwert sich Zinkeysen, daß den „Egelsbacher Tanzknechten zum Tanz 1 Gulden jährlich zu vertrinken gereicht” werde, die Entschädigung für den Pfarrer allerdings schon seit 10 Jahren ausblieb! Egelsbach gehörte damals zur Pfarrei Langen.
An einer anderen Stelle schildert Zinkeysen auch die Tanzgewohnheiten dieser Zeit. So schreibt er 1578: „Wie bei uns die Täntz sein und gehalten werden: nämlich: kein Ordnung wird allda gespürt, sondern ohn all Ordnung läuft das junge, ungehaltene, unbendige Volk zusammen und ist bei ihnen ein solch wild umgehend viehisch rennen, laufen, rupfen, reißen, rufen, schreien, unselisch springens, umdrehens, Zwirbelns, unzüchtig aufwerfen, ein solch ärgerlich Wesen und Wüten, das Einer schwür, sie wären rasend unsinnig und vom Teufel besessen.” Er fährt weiter fort: „…denn ich kann nicht sehen, daß unserm Her Gott ein Licht, dem Teufel 10 Lichter brenne, das ist das man des Tages zum Gottesdienst verordnet ist ein Stund Got und dan Tag und Nacht saufen, fressen tantzen, fluchen, lestern, Unzucht den Teufel diene und Gott also spotte.”[8] Wie eine Kerb in der gewiß überzogen geschilderten Weise ablief, kann uns ein Holzschnitt von Hans Sebald Beham erläutern, der 1539 ziemlich großformatig von 4 Stöcken gedruckt wurde. Sebald Beham, der 1500 in Nürnberg geboren wurde, geriet 1528 mit dem Rat der Stadt Nürnberg in Konflikt und wurde von dem Frankfurter Verleger Christian Egenolph nach dort verpflichtet. Sicherlich ist seine Darstellung der Kerb für den rhein-mainischen Raum typisch, wenngleich er eine ähnliche Darstellung seines Bruders Barthel Beham aus dem Jahre 1534 mitverarbeitet hat, die im mittelfränkischen Raum entstanden ist [9].
In der Zeit kurz vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg verstummen die Berichte über die Kerbfeiern, ganz einfach deshalb, weil es existenziellere Probleme gab, mit denen sich die Bevölkerung und deren Geistlichkeit Obrigkeit zu befassen hatte.
1672 beginnt dann eine lange Reihe von Verboten des Rates der benachbarten Freien Reichsstadt Frankfurt a.M. 1679 beschwert sich der Bornheimer Pfarrer Mitternacht über die Auswüchse der Kerwefeiern; wie die Bornheimer Pfarrprotokolle verzeichnen ,wettert er gegen die Bornheimer „Saufknechte” und „Meinhelden” und das „in heutigen Mißbrauch gottlose verdambte Sauf-Fest” und setzt sich für ein Verbot der Kerb ein. Für 1683 meldet das Pfarrprotokoll die „Abstellung des ärgerlichen Kürbetantzes für der Kirche” und erwähnt auf derselben Seite für 1686 eine „Abschaffung der Kürben und Kürbe-Tantzen” durch Ratsdekret [10].

Ein weiteres Kirchweihverbot für alle Frankfurter Dorfschaften erläßt der Frankfurter Rat am 12. Februar 1771. Das folgende ausführliche Zitat soll den Eindruck eines solchen amtlichen Schriftstücks mit seiner aus heutiger Sicht kaum aufzuschlüsselnden Vermengung von Fürsorglichkeit und Repression vermitteln:

Nachdem dem Rath dieser des Heil. Reichs Freyen Stadt Frankfurt am Mayn … vorgekommen, was maßen, bey Begehung derer vorhin in ganz löblichen Absichten gehaltenen sogenannten Kirchweyhen, auf denen hiesiger Stadt untergebenen Dorfschaften, besonders in neueren Zeiten, viele und mancherley Mißbräuche eingeschlichen, die darzu gewidmete Tage in allerhand Ueppigkeiten, Schwelgerey, Tanzen, auch mit Raufen, Schlagen und anderem Unwesen bis in die späte Nacht, ja bis an den hellen Morgen, zugebracht, und dadurch zum Theil hiesigen Burgern und Schuzt-Angehörigen und Unterthanen derer Stadt-Dorfschaften zu schädlicher Verabsäum- und Hindansetzung ihrer Nahrung oder Gewerbes, liederlicher Geld-Verschwendung und vielerley sonstigen Ausschweifungen nicht nur, sondern auch, wie die betrübte Erfahrung gelehret, öfters zu gefährlichen Händlen, wo nicht gar zu Mord und Totschlag Anlaß gegeben worden, fand er sich dazu bewogen, hierdurch und mittelst gegenwärtigen öffentlichen Anschlages zu verfügen, zu setzen und zu verordnen, daß, von nun an und ins künftige zu allen Zeiten, die vorgedachte Kirchweyhen auf hiesigen Dorfschaften… völlig und gänzlich aufgehoben und abgeschaft seyn und bleiben solle…“[11]

Kirchweih im 18. Jahrhundert — Kirchweih in Langen

Ein umfassender authentischer Bericht über den Verlauf einer Kerbfeier ist uns dann endlich aus dem Jahre 1740 überliefert [12]. Seinerzeit lief bei dem Darmstädter Hofprediger Friedrich Wilhelm Berchelmann ein anonymes Schreiben ein, welches auf die „höchst ärgerlichen” Zustände bei den Kerbfeiern hinwies und ein landesherrliches Regulativ herbeiführen sollte. Berchelmann ging auf das Schreiben, das seiner Ansicht nach von einem Pfarrer stammte, ein und erstattete unter Beifügung der „Species facti” dem „hochfürstlichen Consistorium” in Darmstadt eine „unterthänigste Anzeige” mit der Bitte, „daß die Sache unpartheyisch und gründlich untersuchet und wenn sichs also verhält, wie die Species facti lautet, eine bewegliche Vorstellung an Serenissimi Hochfürstliche Durchlaucht gemacht und um gnädigste Abstellung solches öffentlichen Ärgernisses unterthänigst gebeten werde”. Somit hatte er die leidige Sache vom Tisch. Das hochfürstliche Konsistorium trat Berchelmanns Ansicht einstimmig bei, gab aber die Sache, da sie zur Polizei gehöre und nicht Konsistorialsache sei, am 24.10.1737 weiter. Die erste praktische Folge der Anzeige war ein Ausschreiben, das aus dem Geheimen Rat am 19.11.1738 an „sämtliche Beambte der Ober- und Niderngraffschafft” erging. Danach liefen die Berichte der Amtmänner zögernd – oder gar nicht – ein. Der Amtmann Arnold von Langen gab folgenden interessanten Bericht ab:

Berichte unterthänig, daß, wann die junge Pursche . . . dazu Geldmittel gemacht, . . ‚sie zuforderst in denen Waldungen einen oder zwey hohe Tannenbäume erkauffen, solche biß in die Spitze, und den daran lassenden Busch, scheelen, an solche die von denen Weibsleuten gemachte große Cräntz, die mit vielerley Gattung farbichter seidener Bänder behänget sind, fest machen, einen vor das Wirthshauß, worinnen die Kürbzusammenkunfft gehalten,gegessen, getrunken und getantzet, sodann den andern auf einen Platz im Ort, wo alßo öffentlich unter freyem Himmel sich thörigt bezeiget werden soll, aufrichten, an dem zu Haltung dieses Fests erließten ersten Tag, in denen habenden besten Kleidern, angegürteten Seitengewehr, und aufhabenden von denen Weibsleuten mit Bändern ausgeschmückten Hüten, nebst denen Musicanten sich in den Kürbe-Wirtshauß Vormittag versammlen‚vor solchem folgendergestalt stellen, daß einer mit einem kurtzen Gewehr vorangehet, dem die Musicanten mit spielenden Instrumenten folgen,nach diesen einer, mit einer auf der Achßel tragenden Bank einhertritt, hinter diesen zwey kommen, so 2 mit Wein angefüllte Maaßtannen, die mit Bändern und Roßmarin bebunden werden, desgleichen 2 alßo gezierte Gläßer tragen, sodann solchen die Kürbe Bursche paarweiß mit in Händen haltenden entblößten, mit Bändern bebundenen Degen, nachgehen, alßo durch die Gassen des Dorffs biß auf den offentlichen Platz, wo der eine Kürbbaum stehet, ziehen, daselbsten die Spielleute sich auf die an dem Baum gestellte bißher getragene Bank setzen,mit der Music fortfahren, die Bursche die Seitengewehr ablegen, wegen einer angeschafften, aufgesteckten Gabe, alß etwa einen Hammel, neuen Hut, neuen zinernen Gefäß oder dergleichen, unter sich sowohl alß andern herumbstehenden Geld, umb zu ihren Kosten wieder etwas zu gewinnen, zusammen fordern, nach der Reihe, wie das Geld gefällt, die Numer mit Kreide an des Dautis Hut schreiben, auf einen Baum in die Höhe eine geladene Flinte, sodann an deren Zünd Pfanne und darauf befindlichen Pulver ein lang Stück Lunte, so durch die Zeit von ein paar Stunden,brennen kan, legen, solche Lunte, wann der Tantz mit denen sich herzu begebenen Weibs Personen umb den Baum anfängt, das äußerste Stück von der Lunte anzünden, solche Zeit über fort tantzen, mittlerzeit ein Kerl eine von einem Hauß zu einem andern, Ihme gesetzte Distanz hin und wieder gehet, so offt Er wieder an des einen Haußes Eck Pfosten kommt, und mit einem Stock daran schlägt, die Zahl von Eins an biß die Zahlen derer Geld eingesetzt habenden Personen sich endet, da Er wieder von Eins anfängt, alßo so lang die Numern laut ausruffend fortzehlet, biß die Flinte losgehet. Welche Zahl dann gleich vorher gefolget, und geruffen worden,derjenige auf dessen Hut solche Nummer gezeichnet stehet, hat sodann die ausgestreckte Gabe gewonnen; diesennach wird von den offentlichen Platz auf vorgemelte Art in das Kürb Wirthshauß gezogen, darinnen biß gegen Abend getantzet, da dann die Pursche nebst Einladung Weibs Personen essen,nach solchem wieder tantzen, wobey dann in solchem Wirthshauß sowohl, alß in andern Wirthshäußern, deren Eigenthümere einen Tantz Zeddul lößen, von denen übrigen Einwohnern sich auch einfinden, trincken und tantzen,welches biß in die Nacht umb 12 Uhr währet, da zum öfftern durch die zu Verhütung desordres jederzeit commandirte Wacht der Feyerabend gemacht werden muß, und solchergestalten wird der andere und dritte Tag zugebracht, an welchen in der Nacht auf gemelte Weiße der Schluß gemacht wird.

Kirchweih in Groß-Gerau

Die ländliche Kirchweih in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat der 1719 in Grünstadt geborene Pfälzer Johann Conrad Seekatz in reizvollen Ölbildem festgehalten. Er wurde 1753 als Hofmaler nach Darmstadt berufen und in den sechziger Jahren hat er das in die Kunstgeschichte eingegangene Motiv der „Kirchweih in Groß-Gerau” in mehrfachen Variationen umgesetzt [13]. Alleine das Hessische Landesmuseum in Darmstadt besitzt in seinen reichen Beständen barocker Malerei zwei dieser Bilder, die „große..

LandschaftDreieich1989013_1_webJohann Konrad Seekatz Kirchweih in Groß-Gerda (Die große Bauernkirchweih), (Hessisches Landesmuseum Darmstadt)

…und die kleine” Kirchweih in Groß-Gerau. Das Frankfurter Goethemuseum zeigt eine ähnliche Jahrmarktszene”, die Seekatz für den Grafen Thoranc gemalt hat [14].

Einen Bericht über das Kirchweihgeschehen aus dem Amt Dornberg, zu dem Groß-Gerau im 18. Jahrhundert gehörte, besitzen wir leider nicht, obwohl der dortige Amtmann aufgrund der Ausschreibung von 1738.und durch Erinnerung vom 1.2.1740 dazu aufgefordert war. Offensichtlich hat er der ganzen Angelegenheit nicht die Bedeutung beigemessen, wie seine Kollegen aus den anderen Ämtern der Obergrafschaft. Deshalb sind die Kirchweihbilder von Seekatz so wichtig. Obwohl er nur einen Teilbereich des Kirchweihvergnügens, Tanz, Essen und Trinken, festgehalten hat k0nnen wir auf dem großen Kirchweihbild unschwer den Kerbbaum mit angehefteter, bebänderter Zinnkanne erkennen. Auf einem Podest unter dem Baum sind die Musikanten plaziert. Auf dem freien Platz davor tanzen die. Landleute in ausgelassener Weise. Ob die Kleidung der Dargestellten und die Tanzformen authentisch wiedergegeben ist, kann nicht eindeutig bestatigt werden; deshalb ist das Bild für die Trachtenforschung z.B. nur von sekundarer Bedeutung. Jedenfalls hat das Bild großes Gefallen bei der städtischen Kundschaft gefunden: „Ihr eigenes bürgerliches Verhalten hob sich in ihren Augen Wohltuend von dem der ungehoberten Bauern ab [15].

Der Kerbbaum

Nach dem anonymen Bericht aus dem Jahre 1737 wird die Kerb gefeiert „unter dem freyen Himmel unter einem Baum, den sie entweder im Dorffe haben, oder als ein Siegeszeichen des Liberi Patris aufrichten‚ und mit Bändern zieren”. Es ist der „Kerbbaum”, der auf Behams Holzschnitt zu sehen ist und den der Amtmann Arnold 1740 anführt. Es ist eine hohe Fichte, die bis zum Wipfel entastet und geschält wird. Nur der oberste Wipfel bleibt unberührt: Darunter kommt der „Kerbkranz” zu hängen. Einen solchen Kerbbaum hat Johann Caspar Zehender auf einem Aquarell aus dem Jahre 1774 festgehalten. Das Bild zeigt den Gasthof „Zum weißen Rößlein” in Niederrad (= Frankfurt-Niederrad) mit dem beschriebenen Kerbbaum davor [16].
Von der Einholung des Kerbbaumes berichtet Kaut: „… Es ist Freitag vor Kirchweihe. Im Verlaufe des Tages sieht man hier und da Kinder, welche Blumen tragen, es sind die Blumen zum Kranze an den Kirchweihbaum. Bevor jedoch das Flechten des Kranzes beginnt, begeben sich die Burschen in…

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Joh. Caspar Zehender, Gasthof „Zum Weißen Rößlein”, Niederrad, 1774, (Original im Hist. Museum Frankfurt a.M.)‚ Darstellung eines Kerbbaumes.

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Barthel Beham, die große Bauernkirchweih, um 1534 (Ausschnitt)

…die Häuser derjenigen Mädchen, die sie sich ausersehen haben, die Eltern um Erlaubnis bittend . … Am Samstagmorgen herrscht reges Treiben. Gegen Mittag sieht man sämtliche Burschen, mit Äxten versehen, zum Walde ziehen, um eine geeignete Tanne oder Fichte zu fällen. Viele haben Krüge mit Getränken umgehängt. Gegen drei Uhr des Nachmittags fahren Wagen ohne Leitern hastig aus dem Orte… . in den Wald, um die Kirchweihbäume zu holen.” [17] Das spätere Aufstellen des Baumes, welcher an einer bestimmten Stelle des Kerbplatzes eingerammt wird, scheint früher wie auch heute noch ein Problem für die Kerbburschen zu sein. Jedenfalls hatte in Langen bereits 1811 der Zimmermann Sebastian Rodner kräftig beim Aufstellen des Baumes geholfen und bekam von der Gemeinde seine Unkosten erstattet.
Der Kerbkranz war nicht nur mit Blumen, sondern vor allen Dingen auch mit bunten Bändern geziert. Unter dem Kerbkranz wird heute noch die „Kerbpuppe” angebracht: eine aus alten Kleidern hergestellte und mit Stroh ausgestopfte Figur, die später beim „Kerbverbrennen” eine wichtige Rolle spielt.
Allerdings waren Kerbbäume nicht in allen Orten und zu jeder Zeit üblich. Mancherorts in der Dreieich (z.B. Offenthal) ist der „Kerbstraul ” überliefert, der zu Beginn des Festes an die Hauswand des Dorfgasthauses geheftet wurde [18]. Es konnten aber auch mehrere Kerbsträuße an verschiedenen Gasthäusern sein.

Aus Dietzenbach ist ein Kerbkranz überliefert, von dem der über achtzigjährige Jakob Heinrich Berz 1981 berichtete[19] „An diesem Abend (dem Kerbsamstag) wurde von den Kerbburschen im Kerblokal der Kranz gewunden, kunstvoll aus Selleriekraut und gut einen Zentner schwer, am Ende wurde er mit so vielen bunten Bändern geschmückt, daß kaum noch das dunkle Selleriegrün zu sehen war. An drei festen bunten Stricken wurde er in der Mitte einer Heugabel aufgehängt und um Mitternacht unter dem Singen des Liedes ‚Wir winden wir den Jungfernkranz’ in die Wohnung der vorher ausgewählten Kerbjungfrau getragen.”

Kirchweih in Neu-Isenburg um 1800

Aus der Zeit um 1800 haben wir zwei weitere, schöne Kirchweihbilder, die wir in der Folge beschreiben wollen. Sie stammen von Anton Radl. Der Wiener Maler Anton Radl (1774-1852), der 1794 zwanzigjährig nach Frankfurt a.M. kam, schuf zahlreiche Tusch- und Sepiazeichnungen, Aquarelle und Ölbilder von zauberhafter Anmut. Nicht nur die lieblichen Berge und Täler des Taunus und die (seinerzeit noch) verträumten Winkel des Rhein-Main-Gebietes südlich von Frankfurt a.M. hat er zum Bildinhalt gewählt, sondern auch das pittoreske Landleben und zwar in einer detailgetreueren Art als die Maler des Barock. Genau eine Generation nach Seekatz setzt mit Radl eine ganz neue Beobachtung des Volkslebens ein. Deshalb kommt den beiden Gouachen, die wir hier vorstellen wollen und die sich in der graphischen Sammlung des Frankfurter Städels befinden, eine besondere dokumentarische Bedeutung zu [20].
Die eine Darstellung zeigt ein reges Kerbtreiben auf einem freien Platz, welcher durch ein Gasthaus auf der linken und ein Wohnhaus auf der rechten Seite, sowie einer intensiven Bebauung im Hintergrund begrenzt ist.
Das andere Bild zeigt eine brauchtümliche Kerbhandlung, den „Gickelschmiß”. Beide Bilder wurden bisher mit „Kirchweih in einem Dorf bei Frankfurt” bezeichnet.

LandschaftDreieich1989015_1_webAnton Radl „Kirchweih in einem Dorf bei Frankfurt”, um 1800. (Aquarell) – (Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt, graph. Sammlung)

Wenden wir uns dem ersteren Bild zu, wovon der Verfasser anzunehmen glaubt, daß der Maler Anregungen aus Neu-Isenburg bekommen hat, denn das schlanke, elegante Rokokorathaus mit Treppenturm ragt aus dem Häusergewimmel im Hintergrund heraus.
An den rechten Rand gerückt, dominiert der Kerbbaum‚ so wie wir ihn schon von dem Bild von Zehender kennen. Festlich-bunt gekleidete Landleute haben sich auf dem Platz versammelt und lauschen dem „Kerbspruch”, der auf der linken Bildhälfte im Vordergrund vollführt wird. Wieder andere unterhalten sich oder lassen sich aus der mitgebrachten Flasche einschenken. Im Hintergrund sind offene Marktstände aufgebaut, dort bieten Händler ihre Waren feil. Ein reisender Händler hat offensichtlich im Gasthof im Vordergrund eine Lokalität zum Verkauf von „Galanteriewaren” eingerichtet: eine Stange ist aus einem Fenster des oberen Stockwerks herausgeschoben, an der eine Zinnschüssel und ein paar schwarze Strümpfe mit rotem Band angeheftet wurden. Sicherlich ein „Ausleger”, ein Hinweis auf das ambulante Händlerdomizil.
Vor dem Tor des Gasthofes wird der schon erwähnte Kerbspruch abgehalten. Es werden die Begebenheiten des verflossenen Jahres in satirischen Gedichten persifliert. Dies ist auch heute noch eine beliebte Kerbunterhaltung in vielen Dörfern und Städten des Odenwaldes und der Bergstraße, wenngleich in der Dreieich keine Erinnerung mehr daran besteht.. Man sieht auf dem Bild ganz deutlich einen Akteur, der einen Zettel vor sich hält und abliest. Er steht hinter einem hohen, leeren Holzfaß, auf den ein weiterer Akteur mit dem Holzhammer den Tusch klopft! Die Zuschauer und Zuhörer sind vergnügt, einer wirft jauchzend seine Mütze in die Höhe.
Vor dem Geschehen hat sich aus einer Flinte ein Schuß gelöst und dieser zielt in Richtung eines bändergeschmückten Hammels, der von der Bildmitte zum Rand springt. Es scheint ein Hinweis auf das Hammelschießen zu sein.

Der Kerbhammel

Zu den Privilegien der Kerbaktiven gehörte seit dem 17. Jahrhundert die Übergabe des Hammels, entweder als Zehrung für die Kerbburschen oder als Preis für das Kirchweihschießen. Über lange Zeit berichten die Bürgermeisterrechnungen von langen darüber. So ist in einer Notiz aus dem Jahre 1656
zu lesen:

2 fl- haben die Kirchweih die Knechte unß ahn ihrer Zehrung zugerechnet, welches ihres Herkommens nach anstadt eines Hammels gegeben wirdt. 1 fI. den Scheibenschützen zu ihrer gebür‚ so umb bemeldeten Hammel geschossen.

1714 wird dann wieder das Brauchtum des Kirchweihhammels aufgenommen:
6 fl. dem Schäfer Nicol vor zwey Hammel, so dem Ausschuß und Jung Purschen auf der Kirchmeß zu verschießen gegeben.”

1744 wird vermerkt, daß ein „fetter Hammel zur Kürbe, so den jungen Purschen zu vertanzen gegeben worden” angekauft wurde. Wenn auch in manchen Jahren von dem „alten Herkommen”, besonders in kriegerischen Zeiten, kein Gebrauch gemacht wurde, so war das Brauchtum nicht vergessen und wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein gepflegt. Im Jahre 1786 erhielt der Schäfer Johann Knöß „vor den Kirbhammel” von der Gemeinde 5 Gulden und 10 Albus und 1807 den Betrag von 8 Gulden.
Der Kirchweihhammel war ursprünglich der Preis für gutes Scheibenschießen, welches der „reisige Ausschuß” an Kirchweih veranstaltete. Der „reisige Ausschuß” war eine Art Landmiliz, der in den Dörfern aus dem „jungen Ausschuß”, den waffenfähigen Männern von 16-40 Jahren, und dem „alten Ausschuß”, den Männern von 40-60 Jahren bestand.
Dieser Kirchweihhammel wurde somit zur Symbolfigur für das Fest.
Obwohl die Kerbburschen im 17. und 18. Jahrhundert zu dem Jahrgang gehörten, der zur Ausmusterung zum jungen Ausschuß aufgerufen wurden, gab es wegen des Kirchweihhammels gelegentlich Schwierigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Kerbburschen und den anderen Mitgliedern des reisigen Ausschusses. Diesen Streitigkeiten begegnete die Gemeinde dadurch, daß sie z.B. im Jahre 1714 zwei Hämmel stiftete: „Sechs Gulden haben die Bürgermeister Hans Georg Becker und Hans Georg Sehring dem Schäfer Nicoluas Gill vor zwey Hammel bezahlt, welche dem Ausschuß allhierverschießen und denen Kirmeß Knechten zu verdantzen von der Gemeinde verehrt. Langen 18.8bris 1714.
Damit allerdings noch nicht genug: die Kerbburschen behaupteten, daß ihnen ein geringerer Hammel verehrt worden sei. Danach legte die Gemeinde noch einmal 1 Gulden zu [21].

Der Hahnenschlag („Gickelschmiß”)

Eine Kerbattraktion ist das Geschicklichkeitsspiel des Hahnenschlages, mundartlich „Gickelschmiß” genannt. Dieses Spiel wird vielfach noch heute (oder wieder) am zweiten Kerbtag durchgeführt, wenn in das Geschehen des Kerbablaufs Müßiggang einzuschleichen droht.
Der Gickelschmiß ist ein Geschicklichkeitsspiel, von dem kompetente Autoren meinen, dieses von den Handwerkertänzen der Städte ab dem 14. Jahrhundert herleiten zu können. Diese aufwendigen Schaubräuche gehörten zu den Privilegien der Zünfte. Ein frühes Zeugnis hierzu haben wir – wie so oft – durch ausgesprochene Verbote: so bestimmt im Jahre 1496 das Frankfurter Bürgermeisterbuch „daß hane dantzen vund umb die gense nit gescheen haißen.” [22] Der Hahn war also Trophäe bei einem Geschicklichkeitstanz. Ähnlich verhält es sich noch heute beim Hammeltanz, der vielerorts im Odenwald und an der Bergstraße durchgeführt wird.

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Im 16. Jahrhundert haben dann die Meister um Dürer mehrfach in ihren Holzschnitten den Hahnentanz abgebildet. Die Trophäe, der prächtige Hahn, sitzt meist in einem hölzernen Käfig auf einer mehr oder minder hohen Stange oder einem geschälten Fichtenstamm, vergleichbar mit dem schon erwähnten Kerbbaum. So sehen wir ihn bei Barthel Beham gleich zweimal auf seinen Frankfurter Blättern wiedergegeben [23].
Vom Geschicklichkeitstanz wechselte das Spiel im 17. und 18. Jahrhundert zum Hahnenschlag. Bereits in der Hessen-Darmstädtischen Hochzeitsordnung aus dem Jahre 1606 wird das Hahnenschlagspiel auch als Belustigung der mehrere Tage dauernden Hochzeitsfeierlichkeiten erwähnt. Aus einem Bericht des frühen 19. Jahrhunderts entnehmen wir folgende Schilderung des Spieles: „… Auf einem freien Platze wurde ein Loch in die Erde gegraben, in solches der Hahn gesetzt und über denselben ein großer Topf gestürzt. Ein großer Kreis von Zuschauern. Einem wurden nun die Augen verbunden und er, mit einem Dreschflegel versehen, in eine gewisse Entfernung vom Topf gestellt. Hier wurde derselbe einige Male im Kreise umgedreht, um denselben wegen der Richtung irre zu machen. Nun ging der Verbundene nach seiner Meinung nach dem Topfe hin und führte einen recht kräftigen Hieb nach demselben …“ [24]. Gelang es dem Kandidaten, den Topf zu zertrümmern und den Hahn zu befreien, dann war er sein. Schaffte er die Probe nicht – was die Regel war – kam der nächste an die Reihe. Dies wurde so lange geübt, bis der Schlag traf.
Davor wurde der Hahn sogar mit dem Körper in den Boden eingegraben und der Spieler mußte mit dem Dreschflegel nach dem Kopf des Hahnes zielen, um ihn abzuschlagen. Durch das Einschreiten der Geistlichkeit und der landesherrlichen Obrigkeit wurde dieses schreckliche Spiel in ein symbolhaftes umgewandelt, wo der irdene Topf anstelle des Hahnes eingesetzt wurde und der Hahn nur noch die Rolle der Trophäe übernahm. Im 18. Jahrhundert war es dann „Ehrensache”, daß der Hahn nicht etwa gekauft wurde. Vielmehr wurde er auf andere Weise „organisiert”, d.h. gestohlen. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts soll es dann in Langen vorgekommen sein, daß eine erboste Bürgerin auf dem Kerbplatz erschien und den ihr gestohlenen Hahn zurückforderte. Unter dem Gejohle der Kerbburschen schlug einer von ihnen mit dem Dreschflegel statt nach Hahn und Topf nach der wutschnaubenden Eigentümerin, die arg malträtiert den Wundarzt aufsuchen mußte [25].
Die für das Rhein-Main-Gebiet so prägende Brauchhandlung des Gickelschmiß hat Anton Radl in einem zweiten Aquarell festgehalten, welches in einem noch nicht lokalisierten Orte im Umkreis von Frankfurt a. M. entstanden ist. Auf einem Platz vor einem stattlichen Gebäude, welches eine offene Halle aufweist und offensichtlich das Rathaus vorstellt, hat sich die Bevölkerung des Dorfes versammelt – unter den Arkaden steht in geziemendem Abstand eine Gruppe reputierlicher Bürgersleute aus dem benachbarten Frankfurt und schaut gespannt dem pittoresken Treiben zu.
Im Zentrum des Geschehens steht ein Akteur mit verbundenen Augen, den Dreschflegel zum Schlage erhoben: die bekannte Übung. Ein Hund springt aufgeregt in die Mitte des Platzes. Am Rande der Zuschauergruppe stehen zwei Akteure, wovon der eine den Hahn auf einer langen Stange trägt, der andere eine gefüllte Flasche erhebt. Drei Musikanten spielen während des Spektakels lustige Weisen.
Auch die Nebenschauplätze sind ergötzlich: wir sehen Kinder beim vergnügten Spiel, ein Junge stolziert auf einer niederen Mauer und hat einen Zwei

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Anton Radl „Kirchweih in einem Dorf bei Frankfurt“, um 1800, Aquarell, Darstellung des Hahnenschlags ( Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt, graph. Sammlung)

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Requisiten vom Gickelschmiß (Buchschmuck zu Wilhelm Sauerweins Lokalstück „Bernemer Kerb”, 1839)

spitz -wohl ein ausgemustertes Uniformstück — auf. In der rechten unteren. Ecke stillt eine Mutter ihr Kind, ein Hinweis auf das unverfälschte Landleben, welches Radl vermitteln wollte. Davor hat sich der wohl betrunkene Vater ausgestreckt, den geleerten Apfelweinkrug mit Zinndeckel hat er achtlos neben sich liegen. Wie das erste Bild von Radl zeigt auch dieses bemerkenswerte trachten- und kostümgeschichtliche Aspekte, die der Verfasser in einem anderen Zusammenhang noch einmal behandeln will.
Anton Radl hat uns noch zwei weitere, in jedem Falle humoristisch zu wertende Darstellungen des Kirchweihvergnügens in der Umgebung von Frankfurt hinterlassen, die sich ebenfalls in der graphischen Sammlung des Frankfurter Städels befinden. Er hat sie „vor der Kirchweih” und „nach der Kirchweih” benannt. Sie zeigen das Fest zu Beginn noch sittsam, wenn auch ausgelassen und am Ende steht das Chaos, Zank, Streit und Schlägerei!

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Anton Radl, Anfang der Kirchweih, um 1800, Aquarell. (Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt, graph. Sammlung)

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Anton Radl, Ende der Kirchweih, Aquarell. (Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt, graph. Sammlung)

Kirmesknechte – Kerbburschen

Getragen wurde das Fest seit eh und je von den Kerbburschen, die alljährlich wechselten und sich im Alter von 19 bis 20 Jahren befanden. Es war meist der Burschenjahrgang kurz vor oder nach der Musterung, der sich zur Gemeinschaft der Kerbburschen zusammenfand. Im 17. und 18. Jahrhundert hießen sie „Kirmesknechte” oder „Kirbknechte”. So ist in der Langener Bürgermeisterrechnungen der Jahre 1660 bis 1668 u.a. vermerkt: „3 fl. den sembtlichen Knechten der Kirmeß zur Zehrung wie Herkommens”.
Ab dem 19. Jahrhundert werden die Jugendlichen „Kirb-” oder „Kerbburschen” genannt. Der von der Burschenschar ausgewählte Anführer heißt — soweit sich dies zurückverfolgen läßt – „Kerbvadder”.
Die Kerbburschen zeichnen sich durch ihre Kleidung aus. Schon im Bericht des Amtsmannes Arnold wird von „denen habenden besten Kleidern” und „von denen Weibsleuten mit Bändern ausgeschmückten Hüten” gesprochen. Die bändergeschmückten Hüte spielten in der Folgezeit die wichtigste Rolle. Sie wurden zudem im Laufe der Zeit noch mit Papierblumen über und über dekoriert. Die übrige Kleidung wechselte von Zeit zu Zeit, gelegentlich von Jahrgang zu Jahrgang; zumindest können wir dies auf den frühen Kerbfotografien im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erkennen. Über längere

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Kerbburschen in Langen 1893 (Stadtarchiv Langen) mit Kerbpärchen

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Kerbburschen in Langen 1896 (Stadtarchiv Langen) mit Kerbpärchen und Mundschenken

Zeit waren bunte Ringelstrümpfe populär, die unter dreiviertellangen Hosen getragen und mit roten Bändeln mit Wollpompons gehalten wurden. Ebensolche Trikothemden waren um die Jahrhundertwende ebenfalls sehr beliebt. Um den Hosenbund wurde gelegentlich eine breite, rote Schärpe geschürzt. Nach 1900 verschwanden Ringelstrümpfe und -hemden zu Gunsten von langen, dunklen Hosen und weißen Hemden.
Oft waren in der Gruppe der Kerbburschen noch zwei „Mundschenke” anzutreffen, die sich durch eine umgebundene weiße Schürze auszeichneten. Über wenige Jahre ist auch ein „Kerbpärchen” bezeugt, welches in phantasievoller Kleidung nach Tiroler Vorbild ausstaffiert war. Die seinerzeit schon bei Militär dienenden Burschen, trugen stolz ihre Ausgehuniform.

Amtl. Berichte über die Kirchweihfeiern in der Obergrafschaft aus den Jahren 1737—1740

Von Pfarrer D. Dr. Diehl in Darmstadt
Sonderdruck aus den Blättern für Volkskunde Band VIII, Heft 2
Hessisches Staatsarchiv H417/10

Im September 1737 lief bei dem Darmstädter Hofpredigers Friedrich Wilhelm Berchelmann ein anonymes Schreiben ein, dass folgenden Wortlaut hatte:

Ew. Hochehrw. wissen, ohne von andern sich Beschreibungen drüber geben zu lassen, was die Kirmessen sind, welche in unserm Lande mit landesherschaftlicher Erlaubnuß gehalten werden. Indeme sie aber doch meines Wissens kein wort_unbekannt jemahlen geweßen, so habe ich nicht undienlich zu seyn erachtet, denenselben eine kurtze aber doch warhaftige delineationem deren Wahrheit nach allen Zeilen erweißlich gemacht werden kan, zu zu senden. Mann macht vielleicht die Sache bey Hofe ziemlich unschuldig. Allein dem, der sie in der Nähe ansiehet, ist sie höchstärgerlich und mit solchen Umstanden vergesellschaftet, welche allerdings meritiren, in ihrer natürlichen Gestalt und Blöße dargestellet zu werden. Ich weiß, daß hierüber nicht allein auf dem Lande geeyfert wird: Allein das bin ich doch versichert, es müsse auch durch diese kurtze delineationem dero gerechter Eyfer, so sie zeithero gegen das Böse gezeiget, gereizet werden, einen Versuch zu thun, ob etwa, wo nicht das gantze Wesen gantz und gar mochte cassirt werden, dennoch die zeithero ums Geld verstattete Erlaubnuß zurücke genommen werden; als wodurch wie ich gewiß persuadirt binn, diese Gotlosigkeit eine ihrer vornehmsten Stützen verliehren wird. Ich weiß auch, daß sie solchem aller gerechtestem Bitten und Seufzen so vieler treuer Knechte unsers Heylandes nicht entgegenstehen, sonder nach demjenigen Amte, das ihnen anvertrauet ist, suchen werden, solchen Greuel von seiner Stätte zu stossen. Gott lasse uns hiervon bald die erwünschte Würckung spüren, als worum ich und die mit mir an gleichem Wercke arbeiten, nicht ermanglen werden, denselbigen inbrünstig anzuruffen.

Ich binn unter Göttlicher gn. Erlassung
Ew. Hochehr.
Meines insonbers hochgeehrtesten
H. Hoffpredigers zwar dermahlen
ungenanter aber doch nicht un-
bekanter.”

Diesem Schreiben war eine Beschreibung einer Kirmes mit Hervorhebung aller damit zusammenhängenden Schäden beigefügt, betitelt „Species facti”, die folgendermaßen lautet:

„Species Facti des gegenwärtigen im Schwang gehenden Kirmessenwesens auff dem Lande.

Die Kirmessen sind das üppigste Wesen, das man sehen mag. Der Anfang darzu wird gemacht durch einen höchst=thörichten und lächerlichen Auffzug mit gemahlten Hüthen gleichsam als Kronen
etc. in recht auff Baechanalische Art. Mann sie an den Ort kommen, so wird eine dreyfache Salve gegeben, und hierauff wird der Tantz, ober vielmehr das Gehüpfe und Gespringe mit einer ordentlichen Confusion unter beständigem Aufspielen von Geigen und Waldhörnern auch vermischtem Schießen und anderm Lermen angefangen und fortgeführet.

Der Ort ist unter dem freyen Himmel unter einem Baum, den sie entweder im Dorffe haben, oder als ein Siegezeichen des Liberi Patris aufrichten, und mit Bändern zieren. Des Abends aber, wenn es Regenwetter ist, auff dem Rathhause unter dem beständigen Zulauff des gantzen Dorffs.

Die Zeit ist von Mittwoch inclusive Tag und Nacht an einem Stück fortwährend bis den sonnabend ebenfals inclusive, und also vier gantzer Tage, da hereinbrechende Sontag sokchem Unwesen
kaum einen Stillstand zu Wege bringen kann: Da dann dießes liebe Bacchus-Fest, wie es angefangen, mit Schießen und allerhand Lermen wieder seinen Abschied nimt.

Die Concomitantia find 1. ein beständiges Sauffen, welches zu befördern sie sich mit etlichen Ohmen Wein versehen und welches die jungen Leute sowohl auff dem Rathhauße als auch andere in denen Wirthshäusern ohngescheuet treiben, als woselbst auch gemeiniglich Spielleute sind, und gehüpft und gesprungen wird. 2. Allerhand Gottlosigkeiten und Laster, welche, biß auff dieienige Dinge, welche Herrschaftliche Straffe bringen, alle mit einander erlaubt find, in daß mann fagen muß, eä sehen die Kirmeßen eine rechte Sentina, wo alles böse Wesen, so das ganze Jahr in verborgenen Canälen fließet, sich exponeriret und stagniret. Sonderlich haben unter allen Lastern der Müßiggang, die Vollerley nebst unmittelbahre draus folgendem unzüchtigen Wesen, so sich mit Worten und Thaten auff allerhandt Art und Weiße zu Tage leget, den Vorzug.

Die C o n s e q u e n t a, so zum theil unter denen Concomitantibus ihren Platz finden, betreffen sowohl das geistliche als das leibliche, Unter jenen sind: 1. Eine Unruhe der ganzen Gemeine. Da wird alles aufrührisch, und die Gemüther kommen in eine gewaltige Bewegung, Wie ein Faß, das noch auf der Hefen liegt, wann es angestoßen wird; so wird das ganze Systema der Sünden rege gemacht, und der alte sündliche Mensch in eine solche Bewegung gebracht, welche einer Raserey nicht unähnlich ist, woraus hernach allerhand Inconvenientien zu entstehen pflegen. Welcher Gestalt dann 2. alles zügellos wird; die Eltern sind nicht mehr Herr über die Kinder, und die Herrschafften nicht mehr über das Gesinde. Dieses will nichts thun, sondern laufft hin dem Baal nach und will ihm dienen und wer mit ihm zu rechte kommen will, der muß sie lauffen lassen. Die mehresten lassens geschehen. Wer es wehren will, der hat die größte Noth und muß offt an dem Zügel halten, daß ihm das Blut unter denen Nägeln möchte hervorgehen. Andere müssen wohl offenbahren Ungehorsam erfahren, beyde aber mit fehlenden Augen sehen, daß ihre Arbeit entweder gar nicht, oder nicht recht oder mit dem größten Verdruß gethan wird. 3. Entstehet ein himmelschreyendes Aergernuß zumahl derer Kinder. Was diese sehen unnd hören müssen und was das vor unheylbahre Wunden in ihre Seelen schneidet, ist leicht zu erachten. Offt werden auch sieselbe sehr frühzeitig mit in solches wüste Wesen hineingeflochten u. theils als unschuldige Lämmer zur Schlachtbank geführet, unnd mann hat noch noth, daß mann die Schul-Kinder unter Bedrohung empfindlicher Straffen davon abhält. Und endlich bleibt 4. das Andencken der begangenen Sünden noch übrig, womit sie alle Tage neue Sünden begehen.

Das leibliche hat nicht weniger sehr schädliche Consequenzien. Eine unmittelbahre Consequenz ist die Ausleerung derer Beutel. Das ist etwas Gewöhnliches, daß mancher von Jungen Burschen von 5 à 10 fl. auf dem Platze sitzen lässet. Nimt mann das ganze über einen Haufen zusammen, was mit Fressen und Sauffen etc. durchgebracht wird, so langen 300 fl., auch, nachdem die Gemeinden sind, wohl ein mehreres nicht hin, diesen selbst veruhrsachtenSchaden zu ersetzen.

Derer Impedimentorum, welche als Uhrsachen auzusehen sind, warum solches Unwesen in solchen Grad grassiert, tönten viele angeführet werden. Hier ist eines einzigen zu gedencken und zwar weiter nicht, is insofern es dienet, die Speciem facti zu ergäntzen. Solches ist nun die fürstliche Erlaubniß, welche denen Leuten ums Geld dahin gegeben wird. Eine Sache, welche, so unschuldig sie auch
möchte angesehen werden, in der That und Wahrheit dem ohne das höchst sündliche Wesen noch eine weit sündlichere Gestalt gibt. Zudem nemlich das tolle Volck sich einbildet, als ob es durch diese ihme mitgetheilete Dispensationem vel quasi eine Freyheit quidvie zu begehen erlangt hätte; So wird dadurch alle Ermahnung und Bestrafung derer in denen Gemeinden mit Treue u. Eyfer arbeitenden Lehrer zu schanden gemacht. Was etwa sonst von Boßheiten so hitzig nicht getrieben würde, das wird solcher Gestalt auff den höchsten Grad getrieben, weil sie sich vor ihr Geld was Rechts lustig machen müssen. Und was ihnen ja etwa imputiret werden könte, denenjenigen heimgegeben, welche ja besser müssen wissen, was recht oder unrecht zu thun oder zu lassen seye.

Berchelmann ging auf das Schreiben, das seiner Ansicht nach von einem Pfarrer stammte, ein und erstattete unter Beifügung der „Species facti“ dem hochfürstlichen Confistorio in Darmstadt eine „unterthänigste Anzeige“ mit der Bitte, „daß die Sache unpartheyisch und gründlich untersuchet und wenn sichs also verhält, wie die Species facti lautet, eine bewegliche Vorstellung an Serenissimi Hochfürstliche Durchlaucht gemacht und um gnädigste Abstellung solches öffentlichen Aergernisses unterthänigst gebeten werde“.

Das hochfürstliche Konsistorium trat Berchelmanns Ansicht einstimmig bei, gab aber die Sache, da sie zur Polizei gehöre und nicht Konsistorialsache sei, am 24. Oktober 1737 weiter. Die erste praktische Folge der Anzeige war ein Ausschreiben, das aus dem Geheimen Rat am 19. November 1738 an „sämtliche Beambte der Ober- und Niderngraffschafft“ erging. In ihm ward unter Beifügung einer Abschrift der „Species facti“ ein Bericht darüber, wie in dem dem einzelnen Beamten unterstellten Amt „auf denen Kirchweyhen sowohl in praeparatoriis als in actu selbsten verfahren werde“, sowie ein Bedenken, „wie solchem Uebel mit Nachdruck zu remediren“, erfordert. Daraufhin liesen Berichte ein vom 6. Dezember 1738 aus dem Amt Lichtenberg, vom 24. Dezember 1738 aus dem Amt Darmstadt (mit Sonderberichten der Centgrafen von Arheilgen und Pfungstadt), vom 17. Januar 1739 aus den Aemtern Braubach und Katzenelnbogen vom 22. Januar 1739 aus dem Amt Jägersburg, vom 12. Januar 1740 aus dem Amt Rüsselsheim, vom 14. Februar 1740 aus dem Amt Seeheim, vom 8. März 1740 aus dem Amt Langen, vom 18. März 1740 aus dem Amt Zwingenberg (mit Sonderberichten der Schultheißen von Auerbach, Hähnlein und Alsbach). Der Bericht aus dem Amt Dornberg, der am 1. Februar 1740 durch ein Monitorium nochmals eingefordert wurde, liegt den Akten nicht bei. Er wurde anscheinend überhaupt nicht geliefert.

Die Berichte, die bei dieser Gelegenheit einliefen, sind von großem Wert. Sie zeigen, wie man in der Zeit um 1740 in der Obersgrafschaft Katzenelnbogen Kirchweih hielt. Wir teilen deshalb ihre Hauptstellen, ohne jeden Kommentar, mit, und zwar in der Reihenfolge, in der sie einliefen. Später wird sich vielleicht Gelegenheit bieten, auf Einzelnes, wie z. B. den Kirchweihbaum einzugehen. Praktischen Erfolg hatten die Berichte nicht.

1. Aus dem Bericht des Amtmanns Henrich Wilhelm Langsdorf von Lichtenberg.

Die praeparatoria bey denen jährlichen Kirchmessen in diesem Ambt bestehen darinnen, daß Abendts vorhero ein Baum aufgerichtet wird und darauf ein Tantz geschiehet, keinesweges aber ist gebräuchlich, daß mit gemahlten Hüthen und Schießen der Aufzug geschehe, sodann wird der Schluß bey dem Nachtläuten gemacht. Die grobe Exzesse, so dabey Vorgehen, werden gestrafft, das honestum et deoorum aber muß doch gemeiniglich Noth leiden, interim abusus non tollit using. An den vielen Ausschweiffungen aber, so bey dergl. Gelegenheiten vorgehen, ist wohl eine Ursach mit, daß man denen jungen Leuthen sonsten alle innocente Ergetzlichkeiten abschneidet, e. gr. das Kegelspiel auf Sonntag nach gehaltenem Gottesdienst, so jedoch keineswegs gegen die Kirchenordnung, sondern nur in gewisser Maas eingeschrenkt ist.

2. Aus dem Bericht des Darmstädter Oberamts.

Solang als Kirmessen Täntze verstattet werden, werden wohl die Kirmessen-Unordnungen, welche hiervon lediglich abhangen, inevitable bleiben. Obwohl es mit der Tantz-Concessions-Ordnuug die gute Absicht mag gehabt haben, die Bodinus de republ. Lib. 6 cap. 2 beschreibt…, so wird doch solche von dem rohen Volck in Boßheit dahin verkehren daß sie meinen, durch Erlegung des Tantzgeldes und das dadurch extrahirende Conoessions-Decret Ablaß gegen alle darunter practicirende Üppigkeiten erlangt zu haben. An denen nahrhaffteften Orten, und wo noch eine gute Verfassung ist, wird man fast keine Kirmeß-Täntze mehr finden, und alßo auch daselbst wahrnehmen, dass das Schwermen und Lermen nicht so im Schwang gehe, als an denen Orten, da die liederliche Pursche vermeinen, sie müssen ihren Eltern auch noch den letzten Heller durchbringen. Und dargegen hilfst auch die sorgfältigste Anstalt nicht, wann nicht die Quelle, woraus aller Exceß abfließet verstopfet wird.

3. Aus dem Begleitbericht des Centgrafen Johann Lorenz Bindewald von Arheiligen.

Bey dem jährlichen Festo Epicuri oder wann, nach christl. Art zu reden, die Kirmessen zu feyern angefangen werden, welches, wie Jedermann weiß, daß dieses unter den Bauern der vornehmste Tag des gantzen Jahres ist, auf welchen sie sich deswegen von einem Sommer und Herbst zum andern. so sehr freuen, weilen Ihnen alsdann, ihrer Einbildung nach, durch die ertheilte Dispensation mehr Freyheit als sonsten zn sündigen erlaubet ist, kann ich nicht läugnen daß an theils Orten der mir geanvertrauten Centh die Praeparatoria nicht viel besser gemacht werden als .. in der specie facti, maßen die junge Pursche nicht allein unweit dem Rathhaus; einen mit einem Crantz gezierten hohen Tannen-Baum aufrichten, sondern auch die Hüthe von denen Dorff-Nymphen mit Roßmarin und Bändern gleichsam becrönen, ja sogar die Weinkannen und Gläßer bekräntzen lassen, und sich so unbändig dabey anstellen, daß weder Geist- und weltliche Obrigkeit zu solcher Zeit die biß an den Halß mit Bier und Brandewein angefüllte Nachkommenschafft des Grobiani im Zaum und gehörigen Schranken zu halten im Stand ist. Was rechtschaffene Hausvätter und Mütter, wann sie ihren Kindern und Gesinde den freyen Willen alsdann nicht lassen wollen, vor Verdruß und Schaden deßwegen zu gewarten haben, ist leicht zu erachten, und müssen manche Eltern, die das liebe Brodt nicht im Hauß haben, ihren liederlichen Söhnen die torimenta malorum zu debouchiren herbey schaffen, und solten sie solche, wie offtmahl zu geschehen pfleget, mit gröstem Verlust bey denen Juden aufborgen.

4. Aus dem Begleitbericht des Centqrasen Helwig Henrich Welcker von Pfungstadt.

Es werden zwar die praeparatoria zu denen Kirmessen in der mir gnädigst anvertrauten Cent, nicht, wie in der Specie facti enthalten, mit einem so lächerlichetn Auszug, vielweniger ohnehin verbotteuem Schießen sondern nur mit Steckung eines Baums, so oben mit Bänder gezieret, an den Orth, wo das junge Volck ihren Kirmesen Tantz hält, gemacht, auch das Tantzen und Schwermen, welches, wie nicht zu läugnen und nicht gnugsam zu wehren ist, fast gantze Nächte hindurch anhält, länger nicht als Sonnabends mittag biß 11 ad 12 Uhr verstattet, die in bemelder Specie facti erwehnte Concomitantia, Consequentia und Inconvenientien aber müssen diejenige, welche aufm Land wohnen, dergestalt, wie solche darin sich abgemahlet befinden, öffters mit erstaunenden Augen ansehen, so daß Geist- und Weltlichen Bedienten, welche dem Unwessen nicht gnugsam vorzubeugen im Stand sind, vornemblich aber denen Brodt-Herren und mehrsten Eltern, welche ihr Gesind und Kinder alsdann im Zaum und behörigen Schrancken zu halten nicht im Stand sind oder wenigstens, wann sie ihren raßendem Gesind und Kindern den vollen ärgerlichen Lauf, wiewohlen doch ohne Effect, nur nicht lassen wollen, das gantze Jahr hindurch von selbigen mehrsten Theils den sensiblesten Verdruß, mittelst irrespectuofer Bezeigung und nachlässiger Arbeit empfinden müssen, fast bange wird, wann dieße Kirmessen und Bachusfestitis herannahen.

5. Aus dem Bericht des Amts Braubach und Katzenelnbogen.

Man weiß in dem hießigen Ambt von Kirmeß festins nichts mehr, sondern wann die junge Pursch im Jahr sich ja einmahl lustig machen wollen, so geschiehet solches auf denen Herrschaftlichen privilegirten Jahrmärkten, da sie auf solchem gegen Erlegung der eingeführten Tantzconcessions-Gelder von Mittag an biß Abends etwa 12 Uhr aufm öffentlichen Marckt, oder nach dem es die Saison giebt, in einem Wirths-Hauß bey einem Glaß Wein, oder weil solcher dermahlen zu theuer, bey einem Glaß Bier und Brandtenwein ohne den geringsten beschriebenen Aufzug einen erlaubten Tantz halten und more rusticali sich lustig machen, welches unsers geringen ermessens einem Unterthan, welcher das gantze Jahr sauerlich arbeitet und gnädigster Herrschafft das seinige praestiret schon zu permittiren wäre, in dem bey allzustarckem Zwang im Verborgenen offtmahl mehr böses gethan wird, als in offentlicher Gesellschafft nicht geschehen kann noch wird

6. Aus dem Bericht des Amtmanns Johann Adam Lichtenberg von Jägersburg.

In hiesigem Amte werden nur an 3 Orten die Kirmessen gehalten, zu Gros Rohrheim aber nicht, sondern hier seind jährlich zwey Jahr Märckte, bei welchen etwa der eine oder der andere Wirth, in seinem Hauße, Einen Tag Spielleute und ein Tanz hält. Zu Groshaußen Schwanheim und Langwaden, woselbsten Sie die Kirmessen gegen den Herbst zu halten pflegen, da werden zwar auch Spielleute, jedoch aber kein offentlicher Tanz sondern nur im Wirthshauße gehalten, und währet Einen, ja höchstens 2 Tage, wie im verwichenen Jahr auch geschehen. Und ist mir

1. von Aufführung der Kirmeß, außer daß die Pursche Sträuße mit Bändern auf denen Hüten haben, vom Schießen und übrigen Ceremonien nichts bekant, wie dann auch die fürstl. Schultheißen mich dessen versichern, daß dergleichen niemalen geschehe.
2. Wird, wie oben gedacht, kein offentlicher Tanz unter freyem Himmel sondern in denen Wirthsstuben, oder in einer Scheuer, mithin unter keinem Baum gehalten; wie dann Niemand wird sagen können, daß jemals ein solcher aufgerichteter Kirmeß-Baum in hiesigem Amt gesehen worden.
3. Die Zeit, wie lang die Kirmessen in hiesigem Amt währen, ist 2 Tage und des Abends um 10 Uhr müssen Sie aufhören zu spielen, welches ich denen fstl. Schultheißen, wann ich die Tanzzettel ausgegeben, anbefohlen habe.
4. Ist es hier noch niemalen geschehen, daß die Pursche Ihren eigenen Wein vorgelegt, sondern Sie halten, wie schon gedacht, Ihren Tanz jederzeit im Wirthshauße.
5. Ist es nicht ohne, daß bey dergleichen Kirmessen allerhand Laster vorgehen, zumalen da das Junge Volck bey so gestalten Sachen, in allen Stücken Gelegenheit bekommt, und lassen weder das Gesinde noch die Kinder abhalten, auch ist nicht zu läugnen, daß die kleine Kinder, so herzulauffen, allerhand bößes und Ihnen Argerliches gewahr werden und
6. wird freylich das Geldt von dem Gesinde und Kindern unnöthig zugebracht.• Und will man dem jungen Volck von diesem Unwesen abrathen, und keine Spielleute halten lassen, so sagen Sie gleich, die gnädigste Herrschafft habe es erlaubet und wann Sie Ihr Geldt gäben, könte man es Ihnen nicht wehren, auch verzapfe der Wirt auf solche Art mehr Wein, und würde dadurch die Tranckstuer vermehret.

7. Aus dem Bericht des Amtmanns Johannes Petri von Rüsselsheim.

Ich habe gefunden, daß ob zwar nicht alles, so in der specie facti angeführet, in toto complexu an einem jeden Ort angetroffen wird, dennoch, wann•man Anfang, Mittel und Ende an unterschiedenen Ortten zusammen ziehen will, nichts anderes, alß ein solcher Zusammenhang herauskomt.

8. Aus dem Bericht des Amtmanns Georg Alexander Lampen von Seeheim.

Der Anfang wird gemeiniglich damit gemacht, daß die junge Bursch per deputatos bei dem Beambten sich melden und umb Erlaubnuß, ihr festin zu halten, anhalten, dieser verstattet solches gegen Bezahlung der Tantz Concessionsgelder und hat davon, ob er gleich nicht mittantzet täglich 10 Albus alß ein Aecidens zu genießen. Hierauf gehen die junge Pursche hin und richten unter vielem Jubilieren einen hohen gemahlten mit vielen Bändern geziereten so genanten Melyen an einem wohlgelegenen Orth im Flecken auf, welcher öffters die Höhe des Kirch-Thurns daselbsten übertreffen muß. Ist dieses maximo cum strepitu geschehen, so wird sowohl im Dorff alß auf einem nahe daran gelegenen Hügel die Kirchweyhe mit einer allgemeinen 3 mahligen Salve eingeschossen und denen benachtbahrten bekant gemacht, daß die Fässer nunmehro angestecket und ein jeder vor sein Geld sich könne lustig machen. Man ziehet darauf unter beständigem Jubiliren mit vorgehender Musique, wobei nebenher einige mit grosen, theilß mit Kränizen umwundenen zinnernen mit Wein angefüllten Kannen gehen und den Durst leidenden einschenken müssen, wieder in den Orth und fänget entweder unter obbesagtem Baum oder wo das Wetter es nicht zulässet auf dem Rath- oder Wirthshauß des Bacchi Fest mit Tantzen singen und springen an. Die Zeit währet ordinarie 3 Tage und wo nicht vom Amt remediret wird, auch 3 gantze Nächte, dabey wann der Beambte conniviret und einige Stunden des Nachts länger alß die Verordnung mit sich bringet, tantzen läßet, dieser das Vergnügen hat, daß ihm alle Morgen vor Anbruch des Tages von denen Virtuosis und jungen Purschen ein offt übel harmonirender sogenannter Morgen Seegen mit Waldhörnern, Violinen, Leyern und Schalmayen und dergl. gebracht wird. Kommet endlich das Ende des Festins so wird es wie der Anfang mit 3 mahligein Salve schießen und dergleichen der Nachbarschafft wiederum notificiret. Die Concomitantia sind nichts alß s. v. Fressen, Sauffen, Jauchzen, tantzen, singen und springen, sowohl unter alten alß Jungen dabey vom Wein öfters mehr verschüttet alß genossen wird. Jedermann muß diese 3 Tage, wo er sich nicht will auslachen lassen, einen Müßiggänger abgeben, und aller Arbeit sich enthalten, wer das gantze Jahr kein Fleisch gegessen, muß diese Täge über gesottenes, gebratenes und gebackenes haben und darf es bei denen allerärmsten nicht an Kuchen fehlen, damit man denen auß der Nachtbarschaft sich häufig einfindenden guten Freunden Anverwandten und Gevatterleuteni eine Ehre erweisen nnd hiernechst gleiche Höfflichkeit wieder bei Ihnen erwarten könne. Je voller und sinnloser sich einer aufführet, je mehr wird er von denen andern aestimiret, der Vatter und Mutter selbsten, wann sie ihren Sohn und Tochter in allen Excessen sehen lustig machen, haben einen Gefallen daran. Mithin sind die Consequentia, so hierauß fließen, leicht zu erachten, daß nemlich

1. im gantzen Orth mehr s. v. besoffene als nüchterne Leuthe anzutreffen,
2. der Vatter nicht Herr über den Sohn, und die Mutter nicht über die Tochter seye,
3. das Gesinde auch wieder der Brodherren Willen, bei diesem liederlichen Leben sich einfinde, und wo es mit Gewalt zurück behalten wird, solches die Herrschaft anderwerts entgelten lassen,
4. junge zarte Kinder daran sehr geärgert werden, wann sie
5.sehen, daß bey diesem Bachusfest die junge Pursche und Mädgens, sich gleichsam offentlich mit einander paaren, ohne Scheu einander begreiffen, und in abgelegene Winckel, in Scheitern und Ställen sich verstecken, nicht zu gedencken, daß
6. viele junge Pursche und alte Leuthe durch das Kirmessengehen von einem Orth zu dem andern, sich des Müßiggangs und liederlichen Lebens dergestalten angewöhnen, daß ihnen solches ihr Lebtag anhänget und sie durch keine Zwangsmittel mehr davon können gebracht werden.
7. die edle Zeit wird gottloser Weise dardurch zugebracht, ohne daß Gott und dem Nebenmenschen gedienet wird, und endlich
8. ruiniret sich der gemeine Mann bey diesen nahrungslosen Zeiten und•verthut in diesen 3 Tagen soviel, daß er und seine gantze Familie einen gantzen Monat davon leben können, und glaube ich, daß an manchem Orth diese 3 Tage über mehr alß 100 Reichsthaler nur durch die Gurgel gejaget werden.

9. Aus dem Bericht des Amtmanns Arnold von Langen.

Berichte unterthänig, daß, wann die junge Pursche.. dazu Geldmittel gemacht, …sie zuforderst in denen Waldungen einen oder zwey hohe Tannenbäume erkauffen, solche biß in die Spitze, und den daran lassenden Busch, scheelen, an solche die von denen Weibsleuten gemachte große Cräntz, die mit vielerley Gattung farbichter seidener Bänder behänget sind, fest machen, einen vor das Wirthshauß, worinnen die Kürbzusammenkunfft gehalten, gegessen, getrunken und getantzet, sodann den andern auf einen Platz, im Ort, wo alßo öffentlich unter freyem Himmel sich thörigt bezeiget werden soll, aufrichten, an dem zu Haltung dieses Fests erkießten ersten Tag, in denen habenden besten Kleidern, angegürteten Seitengewehr und aufhabenden von denen Weibsleuten mit Bändern ausgeschmückten Hüten nebst denen Musicanten sich in dem Kürbe-Wirthshauß Vormittag versammlen, vor solchem folgendergestalt stellen, daß einer mit einem kurtzen Gewehr vorangehet, dem die Musicanten mit spielenden Instrumenten folgen, nach diesen einer, mit einer aus der Achßel tragenden Bank einhertritt hinter diesen zwey kommen, so 2 mit Wein angefüllte Maaßkannen, die mit Bändern und Roßmarin bebunden werden, desgleichen 2 alßo gezierte Gläßer tragen, sodann solchen die Kürbe Pursche paarweiß mit in Händen haltenden entblößten, mit Bändern bebundenen Degen, nachgehen, alßo durch die Gassen des Dorffs biß auf den offentlichen Platz, wo der eine Kürbbaum stehet, ziehen, daselbsten die Spielleute sich auf die an dem Baum gestellte bißher getragene Bank setzen, mit der Music fortfahren, die Pursche die Seitengewehr ablegen, wegen einer angeschafften, ausgesteckten Gabe, alß etwa einen Hammel, neuen Hut, neuen zinnernen Gefäß oder dergleichen, unter sich sowohl alß andern herumbstehenden Geld, umb zu ihren Kosten wieder etwas zu gewinnen, zusammen fordern, nach der Reihe, wie das Geld gefällt, die Numer mit Kreide an des Dantis Hut schreiben, auf einen Baum in die Höhe eine geladene Flinte, sodann an deren Zünd Pfanne und darauf befindlichen Pulver ein lang Stück Lunte, so durch die Zeit von ein paar Stunden brennen kan, legen, solche Lunte, wann der Tantz mit denen sich herzu begebenen Weibs Personen umb den Baum anfängt, das äußerste Stück von der Lunte anzünden, solche Zeit über fort tantzen, mitlerzeit ein Kerl eine von einem Hauß zn einem andern, Ihme gesetzte Distanz hin und wieder gehet, so offt Er wieder an des einen Haußes Eck Pfosten kommt, und mit einem Stock daran schlägt, die Zahl von Eins an biß die Zahlen derer Geld eingesetzt habenden Personen sich endet, da Er wieder von Eins anfängt, alßo so lang die Numern laut ausruffend fortzehlet, biß die Flinte losgehet. Welche Zahl dann gleich vorher gefolget, und geruffen worden, derjenige, auf dessen Hut solche Numer gezeichnet stehet, hat sodann die anfgesteckte Gabe gewonnen; diesennach wird von den offentlichen Platz auf vorgemelte Art in das Kürb Wirthshauß gezogen, darinnen biß gegen Abend getantzet, da dann die Pursche nebst Einladung Weibs Personen essen, nach solchem wieder tantzen, wobey dann in solchem Wirthshauß sowohl, alß in andern Wirthshäußern deren Eigenthümere einen Tantz Zeddul lößen, von denen übrigen Einwohnern sich auch einfinden, trincken und tantzen, welches biß in die Nacht umb 12 Uhr währet, da zum öfftern durch die zu Verhütnng desordres jederzeit commandirte Wacht der Feyerabend gemacht werden muß, und solchergestalten wird der andere und dritte Tag zugebracht, an welchen in der Nacht auf gemelte Weiße der Schluß gemacht wird.

Die hierzu, inngleichen auf Hochzeiten Spielleute zu halten, und Tantzen zu dürffen ertheilte Concessiones haben in dem mir gnädigst anvertrauten Ambt von 9 Jahren her ertragen:

de anno 1730 — 18 fl.
1731 — 13 fl.
1732 — 6 fl.
1733 — 6 fl.
1734 — —
1735 — 11 fl.
1736 — 100 fl. 15 alb.
1737 — 42 fl.
1738 – 34 fl.
———————–
Summa 230 fl. 15 alb, thut aus 9 in eins:
25 fl. 18 alb „2/3 “

10. Aus dem Bericht des Amtmanns Karl Reinhard Ludwig Krug von Zwingenberg.

Zu meiner Zeith habe ich soviel dem Uebel zu wehren gesucht, als mir möglich gewesen, und, nachdem entweder ein Wirths- oder Kirmessen-Tantz, mit Aushängung eines Kleinods gehalten, pro diversiate sua, nach hochfürstl. Tantz-Ordnung das Dispensations-Geld abgerichtet worden, jedesmahl bey Vermeidung Straffe Intimation gethan, ohne einigen Aufzug, Lermen und- Unordnung 12 Uhr Mittag biß 12 Uhr die Nacht einen stillen Tantz zu halten. Wie dann die hiesige Zwingenberger darinnen meines Wissens, wiewohlen ziemlich wiederwillig, gefolget und ihren Tantz in einem Wirthshauß ohne Ombrage gehalten haben.

11. Aus dem Begleitbericht des Schultheißen Georg Nikolaus Gerst von Auerbach

Der Anfang der Kirmeß wird von den jungen Purschen nach geendigtem Gottesdienst (sintemahlen der monathliche Buß- und Landbettag allemahl auf solche Zeit einfället) damit gemacht, daß sie einen zu dem Ende erkaufften hohen Baum oder sogenanten Mayen den sie zuvor mit allerhand Bändern behangen, aufrichten, hernach von solchem mit denen Spielleuthen, von einem Ende des Dorffs biß zum andern gehen, unter beständigem Aufspielen derer Musicanten; die mehresten derer Pursche haben sich mit Flinten versehen, welche sie in währendem Hin- und Hergehen zeitlich losbrennen. Und dieses heist bey ihnen eine Ausführung der Kirmeß. Nach deren Endigung sie sich aufs Rathhaus verfügen und anfangen zu tantzen, welches denselben Tag und darauf folgende Nacht, ja offt biß an den anbrechenden Tag währet, den 2ten Tag fangen sie es wieder an, wo sie es gelassen haben, doch fängt sich allemahl der gröste Lermen und Tumult des Abends an und währet fast die gantze Nacht hindurch. Den 3ten Tag hält die Gemeinde alhier gewöhnlich ihr Abschießen nach dessen Endigung sich dieselbe aufs Rathhauß verfügen, alwo sie die Schützen Rechnung abhören, und ihren sogenannten Schützenwein trinken, wobei es dann ziemlich unordentlich hergehet, und selten ohne großen Tumult, Zanck, Schlägerey und Streit auseinandergehen, und weilen solchergestalt das Rathhauß von denen Gemeindsleuthen besetzet ist, so retiriret sich das junge Volck mit denen Spielleuthen in das Wirthshauß, worinnen sie es ebenfalls machen, wie auf dem Rathhaus; und weilen solches der letzte Tag ist, sich noch rechtschaffen lustig machen, biß sie der anbrechende Tag aus einander zu gehen nöthiget. Und hiermit hat die Kirmeß ein Ende.

12. Aus dem Begleitbericht es Schultheißen Johann Valentin Mau von Hähnlein.

„Die Kürchweyhe alhir im Hähnlein, welche aljährlich Mittwochen nach Gallustag einfält, ist biß vor etlichen Jahren folgentermaaßen begangen worden. Es haben sich die junge lädige Pursch schond einige Tage vorher bemühet mit Herbeyschaffung eines langen Baums, welcher zu Gerborn in der Dann abgehollet worden, welcher oben mit füren Fahnen von Blech und Bänder geziehret des Tags vorher hat man solchen aufgerichtet, worunter die Kürchweye über ein Tantzen gehalten worden. Der Aufzug ist also geschehen, es sind die lädige junge Pursch mit Musicanden Gewähr und mit Bändern geziehrten Hüthen im Dorff auf und abgezogen, worbey eine dreymahlige Salve gegeben worden. Nach dießem ist daß Tantzen angegangen, so drey Tage continuiret. Nunmehr aber sind in letztverwichenen Jahren dergleichen Praeparatorien und Aufzüge unterblieben und ist der Anfang zur Kürchweyhe durch das Tantzen gemacht worden.“

13. Aus dem Begleitbericht des Johann Friedrich Herpel von Alsbach.

„Die Kirchweyhe alhier zu Alspach, welche alljehrlich Mittwochen nach Egidü einfält, allwo auch zugleich der mohnathliche Bethtag mit einfäldt, und mit einer Predig celiberiret und gefeyret wirdt, ist bißhero einigen Jahren sehr schlecht gehalden und begangen worden, auch sehr wenige jung Pursche da sindt, auch der Wein und alles Zugehör bey diesen schlechten Zeiten sehr rar und theuer gewesen, nunmehro aber bey ungefehr zwey Jahren, understanden midt Herbeyschaffung eines langen Tannen- oder Buchen Baums, welcher oben mit einem Grantz und Bentern geziret gewesen. Diser ist des tages vorhero auffgerichtet, worunder die Kirchweihe über ein offentlicher Taniz gehalten worden. Der Auffzug ist also geschen, die jungen Pursche sindt midt Musicanten und Gewehr inn ihrem Auffzug vor daß Dorff auf einen Berg oder Hügel gegangen, alda Eine dreymahlige Salve gegeben worden. Nach disem ist der Tantz ahngefangen und drey Tage gewehret, wovor überhaubt 9 Gülten gnedigster Herrschafft bezahlet worden, vor daß ganze Dorff und währe wohl zu wünschen, daß dergleichen praeparatorien und Auffzüge underbllieben und die Kirchweyhe einen Tag mit Haltung eines Kirchgangs und Predig celiberirt und begangen werden möchte bey difen betrübten Zeyten, alßdann nach der Kirch könte dann ein jeder von dem von Gott dem Geber alles Guthen verlihenen Segen sich mit seinen guten Freunden in dem Herrn erfreuen.“


[1] Siehe auch: Gerd J. Grein: Kirchweihbrauchtum in der Dreieich im Spiegel von drei Jahrhunderten, in: Volkskultur im Odenwald, hrsg. von der Sammlung zur Volkskunde in Hessen, Museum Otzberg, 1986
Heinrich Winter, Kerbebrauch im Odenwald, in: Die Starkenburg, Heppenheim, 1933, S. 25-28 ders., Kerwebrauch im Odenwald, in: Volk und Scholle, 1934, S. 345-349

[2] Heinz Schmitt, Odenwälder Kerwe, Beobachtungen zum Wandel brauchtümlicher Veranstaltungen, in: Breuberg-Bund (Herausg.) Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften, Breuberg, 1972, S. 29-48
neuere Literatur zum Kirchweihbrauchtum der rheinmainischen Region: Heinz Bormuth, die Kerb — das älteste Heimatfest, in: 1200 Jahre Eberstadt, Darmstadt-Eberstadt, 1982, S. 62-70
Else Moench (u.a.) Brauchtum, zwischen Geschichtlichkeit und Traditionalismus. Von der Bornheimer Dorfkerb zum „Volksfest” am Rande der Frankfurter City, in: Frankfurter Feste, von wem? für wen?, herausgegeben vom Institut für europ. Kulturantropologie und Europ. Ethnologie der Universität Frankfurt a.M., Nr. 8, Febr. 1979. H. Lixfeld, Die Weilbacher Kerb is doo! ‚ Festbuch 1985, Selbstverlag des Verfassers

[3] Georg Kaut, die Kirchweihe, in: Hessische Sagen und Gebräuche Offenbach a.M.,1843

Ph. A.F. Walther, Das Großherzogtum Hessen nach Geschichte, Land, Volk, Staat und Örtlichkeit beschrieben, Darmstadt, 1854 (hier wird die Beschreibung von Kaut fast wörtlich wiedergegeben)

[4] Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, Nachdruck, München, 1984, Spalte 830

[5] zit. nach Moench (Else Moench (u.a.) Brauchtum, zwischen Geschichtlichkeit und Traditionalismus. Von der Bornheimer Dorfkerb zum „Volksfest” am Rande der Frankfurter City, in: Frankfurter Feste, von wem? für wen?, herausgegeben vom Institut für europ. Kulturantropologie und Europ. Ethnologie der Universität Frankfurt a.M., Nr. 8, Febr. 1979)

[6] Wilhelm Diehl, Zur Kirchenkunde der Dreieich, in: Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte, Band 1, Darmstadt, 1901, S. 100-111

[7] zitiert nach Ingeborg Weber-Kellermann, Saure Wochen, frohe Feste, Volksbräuche im Wandel, München, 1985, S. 88

[8] Gerd J. Grein, Sitten und Bräuche zur Langener Kirchweih in vergangenen Jahrhunderten, in: Kerbzeitung, 1979, Langen, 1979, siehe hierzu auch: Georg Wehsarg, Pfarrer Zinkeisen und seine Langener Gemeinde, in: Volk und Scholle, 1930, S. 75 ff.

[9] Monika Heffels, Meister um Dürer, Nürnberger Holzschnitte aus der Zeit um 1500-1540, Ramerding, 1981, S. 18 ff.

[10] zit. nach Moench (Else Moench (u.a.) Brauchtum, zwischen Geschichtlichkeit und Traditionalismus. Von der Bornheimer Dorfkerb zum „Volksfest” am Rande der Frankfurter City, in: Frankfurter Feste, von wem? für wen?, herausgegeben vom Institut für europ. Kulturantropologie und Europ. Ethnologie der Universität Frankfurt a.M., Nr. 8, Febr. 1979)

[11] zit. nach Moench (Else Moench (u.a.) Brauchtum, zwischen Geschichtlichkeit und Traditionalismus. Von der Bornheimer Dorfkerb zum „Volksfest” am Rande der Frankfurter City, in: Frankfurter Feste, von wem? für wen?, herausgegeben vom Institut für europ. Kulturantropologie und Europ. Ethnologie der Universität Frankfurt a.M., Nr. 8, Febr. 1979)

[11] Wilhelm Diehl, Amtliche Berichte über die Kirchweihfeiern in der Obergrafschaft aus den Jahren 1737-1740, in: Hessische Blätter für Volkskunde, Band VIII, Gießen, 1909

[12] Detlef Hoffmann, „Man wird sagen, daß dies recht bürgerlich sei” . . . Bemerkungen
zu einigen Bildern von Johann Conrad Seekatz, in: Darmstadt zur Zeit des Barock
und Rokoko, Ausstellungskatalog, Darmstadt, 1980, S. 245 ff.
Klaus Gallwitz (Herausg), Frankfurter Malerei zur Zeit des jungen Goethe, Ausstellungskatalog des Städelschen Kunstinstituts, Frankfurt a.M., 1982
zur Biografie von Seekatz siehe: Ludwig Bamberger, Johann Conrad Seekatz – ein deutscher Maler des achtzehnten Jahrhunderts, Heidelberg 1911
Seekatz verkaufte seine Bilder u.a. auf der Frankfurter Messe. Dort wurde der Rat Goethe auf ihn aufmerksam, der zahlreiche Bilder von ihm erwarb. Als 1763 der französische Stadtkommandant, Graf Toranc, im Haus am Hirschgraben einquartiert wurde, ließ er sich für sein Schloß in Südfrankreich Tapeten und Bilder von Seekatz malen. Das im Frankfurter Katalog mit „Tanz auf der Landstraße” bezeichnete Bild (S. 74) ist ebenfalls ein Kirchweihbild, wie aus dem Kerbbaum unschwer zu erkennen ist. zit. aus dem Darmstädter Ausstellungskatalog, 1980, S.208

[13] abgebildet in: Hermann Mayenschein, Altes und neues Niederrad, 2. Aufl, Frankfurt a. M., 1972, S. 45

[14] Kaut a.a.O.

[15] Walter Raffius, Die Offenthaler Kirche und das Kirchweihfest, in: Landschaft Dreieich, 1952, S. 274-275

[16] Jakob Heinrich Berz, „Uff de Kerb”, in: Es ist noch nicht so lange her – als Dietzenbach noch alt war, Dietzenbach, 1981

[17] zur Biografie Anton Radls ist wenig publiziert worden. Neben U. Thieme und F. Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler . ‚ . siehe Philipp Friedrich Gwinner, Kunst und Künstler in Frankfurt am Main vom 13. Jahrhundert bis zur Eröffnung des Städelschen Kunstinstituts, Frankfurt a.M., 1862

[18] zit. nach Herbert und Elke Schwedt, Schwäbische Bräuche, Stuttgart, 1982, S. 122

[19] zit. nach Herbert und Elke Schwedt, Schwäbische Bräuche, Stuttgart, 1982, S. 122

[20] siehe: Meister um Dürer, Ziff. 9

[21] zitiert aus: Seeheim-Jugenheim, Ein Heimatbuch, herausgegeben von der Kommission Heimatbuch, Seeheim-Jugenheim, 1981 (hier wird u.a. erwähnt: „Das Hahnenschlagspiel wird noch jetzt (1835) zu Neu-Isenburg und zwar zur Zeit der Kirchweihe vorgenommen”)
siehe auch: Der Hahnen- oder Gickelschlag zu Harheim in: Joseph Kehrein, Volkssprache und Volkssitte im Herzogtum Nassau, Weilburg, 1862, Ziff. 33
Hahnenschlagen‚ Miszelle in den Wetterauer Geschichtsblättern, Band 5/1955, S. 137 (Berstadt betreffend)

[22] G.H.W. Werner, Langener Kirchweih, in: Der Erzähler aus der Landschaft Dreieich, Nr. 17, 1882


Quelle: „Landschaft Dreieich“ 1989